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Schluß mit dem Gratismut

Aktualisiert: 29. Jan.




Die Straßen sind voll. Millionen Menschen gehen demonstrieren, gegen Rechts, für die Demokratie, für Toleranz, gegen die AfD. Ein ermutigendes Zeichen, durchaus. Die jüngeren Enthüllungen, die Rückschlüsse auf das Gedankengut, das in der AfD kursiert, zulassen und die hohen Umfragewerte für die Partei in den demnächst wählenden Bundesländern vor Augen, rütteln offenkundig wach. Doch was helfen die Demonstrationen?


Sie helfen zunächst den Demonstrierenden. Sie haben ein gutes Gefühl. Sie haben das absolute Minimum dessen, was man tun kann, getan. Sie helfen auch den Medienschaffenden, die sich in ihrem Weltbild bestätigt sehen. Und sie helfen den etablierten demokratischen Kräften. Zu mehr sind die Demos nicht in der Lage. Kein potentieller AfD-Wähler wird sich davon in seiner Absicht die Partei zu wählen, abhalten lassen, weil ihm diejenigen, die er für Gutmenschen in einem negativen Sinne hält, erklären, das man das nicht macht. Er sieht sich weit entfernt von 1933 und die etablierten, seriösen Medien, ob privat oder öffentlich-rechtlich, erreichen ihn nicht mehr, die hält er für „systemgesteuert“, was auch wiederum durch Umfragen belegt ist. Am Sonntag nach den Veröffentlichungen von Correctiv rund um die Remigrationspläne hat der AfD-Kandidat bei der Landratswahl im Saale-Orla-Kreis die absolute Wahl knapp verfehlt, in der Stichwahl konnte sich der CDU-Kandidat außerordentlich knapp durchsetzen, die Umfragewerte der AfD gingen seit den Veröffentlichungen und den Demonstrationen um ca. 1,5 Prozentpunkte zurück. Das liegt in dem Schwankungsbereich, in dem auch die Union liegt. Die Form von Politik, die die AfD plant oder planen könnte, ist kein Bug, es ist für deren Wähler ein Feature. Es ist zumindest etwas, das in Kauf genommen wird, um eigene politische Positionen durchzusetzen. Und daran ändern auch die Demonstrationen nichts.


Klar ist: das Erringen von Macht durch die AfD auch in nur einem der drei Bundesländer, die demnächst wählen, wäre für die gesamte Bundesrepublik wirtschaftlich fatal. Es gibt ein volkswirtschaftliches Wachstumshemmnis und das ist der Fachkräftemangel. Alles andere, Energiekosten, Steuern, Bürokratie, Digitalisierung, ist zwar unschön, aber kein absoluter Wachstumskiller. Aber der nicht vorhandene Mitarbeiter kann nichts produzieren, entwickeln, verkaufen. Selbst wenn sich das deutsche Volk heroisch gegen den demographischen Wandel stemmen würde und unter Aufbietung sämtlicher Fördermöglichkeiten inklusive der Wiedereinführung des Mutterkreuzes Nacht für Nacht und in jeder freien Minute die Reproduzierung des Volkes im Auge hätte: es würde 20 Jahre dauern, bis die ersten selbstproduzierten Fachkräfte in den Betrieben ankommen. Die entstandene Delle wäre zu groß. Folglich werden wir als Gesellschaft auf den Zuzug von Menschen angewiesen sein, insbesondere von Menschen, die gut ausgebildet sind und als Fachkräfte anfangen können. Leider übt Deutschland auf diese Menschen schon jetzt aufgrund der anderen Rahmenbedingungen (Steuern, Bürokratie, Digitalisierung usw) nicht eben die größte Anziehungskraft aus. Die Aussicht, selbst mit deutschem Pass deportiert werden zu können, wird nicht als Magnet wirken. Und das unabhängig von der Frage, ob die AfD so etwas durchsetzen könnte. Allein die Stimmung reicht aus.


Es kommt darauf an, konkret zu vermitteln, was die AfD-Politik für die Menschen bedeutet. Und das ist auch die Aufgabe der Unternehmer. Sie genießen nach wie vor Vertrauen ihrer Mitarbeiter. Einige tun das schon, die meisten beschränken sich darauf, kund zu tun, sie seien für Demokratie und Weltoffenheit und ihr Unternehmen sei bunt. Das ist Gratismut, der tut nicht weh. Mutig ist es, Betriebsversammlungen einzuberufen und dort konkret zu sagen, was es heisst, wenn diese Form von Politik regiert. Wo die Risiken sind. Dazu gehört es dann auch, den (berechtigten) Ärger über die derzeitige Regierung (und auch über die Opposition) runterzuschlucken und demokratische Kräfte nicht zu diffamieren, sondern sachlich zu kritisieren. Nicht jedem fällt das leicht, wie ein Blick in das Internet oder auf Demonstrationen zeigt.


Umgekehrt müssen sich Regierung und auch Opposition ehrlich machen. Die Politik der Bundesregierung wird derzeit noch von einem guten Viertel der Menschen getragen, da sind die 4%, die die FDP in den Umfragen noch erhält, schon rausgerechnet, denn das sind diejenigen, die das allerschlimmste verhindert wissen wollen. Gestalterischen Anspruch haben die nicht. Es muss der Bundesregierung in zentralen Fragen gelingen, die Mehrheit der Menschen zu erreichen. Das betrifft nicht nur die Migrationspolitik, auch in der Energie- oder vielmehr Transformationspolitik erleben die Menschen die Regierung fern von dem, was in der Realität möglich ist. Deutschland hat zwar eine Schwäche bei der naturwissenschaftlichen Bildung, die physikalischen Kenntnisse reichen bei den Meisten aber noch aus, um zu erkennen, dass die Strategie der Bundesregierung nicht aufgehen kann. Hinzu kommt, dass wir in Zeiten leben, in denen man durchaus mitbekommt, wie andere Länder mit den Fragen umgehen.


Gleichzeitig muss sich die Union als Opposition die Frage stellen, weshalb zwei Drittel derjenigen, die die FDP derzeit nicht mehr wählen wollen, also gute 8 Prozentpunkte, nicht die Union, sondern die AfD zu wählen beabsichtigen. Könnte die Union diese Menschen erreichen, wovon man eigentlich ausgehen sollte, stünde sie bei gut 40%. Auch hier macht es Sinn, zu überlegen, wie man unter Demokraten miteinander umgeht. Natürlich muss eine Opposition die Regierung kritisieren, selbstverständlich. Am besten ist es, wenn man das mit einem eigenen Vorschlag tut, den man für besser hält. Dann kann sich der Wähler ein Bild machen und selbst abwägen. Wenn man aber den Eindruck erweckt, bei der Regierung handele es sich im Grunde um unfähige Chaoten, die mal einen besseren Vorschlag machen sollten, weil das ja Aufgabe der Regierung sei, dann betreibt man das Geschäft derjenigen, die die Systemfrage stellen. Man liefert denen die Argumente. Wenn man das Ganze dann noch mit Memes im Netz garniert, die die handelnden Personen persönlich herabwürdigen, reiben sich die Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung die Hände.


Es braucht mehr, als nur Demonstrationen. Es braucht eine konzertierte Aktion von Wirtschaft, Medien, Regierung und Opposition, um das Vertrauen in die Handlungsmacht unseres Staates wieder herzustellen. Die Wirtschaft muss Flagge zeigen, Konsequenzen erläutern. Die Regierung muss anerkennen, dass man nicht dauerhaft Politik gegen das Empfinden der Mehrheit machen kann. Es wäre geschickt, tatsächlich einen Deutschlandpakt mit der Union aufzulegen, der dann aber in den entscheidenden Fragen auch eine Zeitenwende beinhalten muss. Und wenn derzeit nur noch 25% hinter der Politik der Bundesregierung stehen, ist das Ausmaß der erforderlichen Wende schon umrissen. Es geht nicht mehr um das Umsetzen von Parteipolitik. Es geht um Deutschland. Das ist größer, als es einzelne Parteien je sein können. Und das ist die Verantwortung, die jetzt wahrgenommen werden muss. Das betrifft auch die Medien, die ihrerseits die Glaubwürdigkeit wieder herstellen müssen. Wenn etwa das Gendern dazu führt, dass Menschen die Medien als „systemgesteuert“ wahrnehmen, dann ist es möglicherweise sinnvoll, damit aufzuhören, anstatt darauf zu beharren, weil man ja Recht hat oder sich im Recht fühlt, was ja durchaus so sein mag. Es hilft nur nichts, wenn sich diejenigen, die man erreichen sollte, unseriösen Informationsquellen zuwenden und man am Ende ein Land hat, das man nicht haben will und in dem übrigens auch nicht gegendert werden wird.


Es ist leicht, auf Demonstrationen zu gehen. Das tut dem Gewissen gut, man steht auf der richtigen Seite. Die Demokratie konkret zu verteidigen, ist ungleich schwieriger. Dazu ist es erforderlich, auch das eigene Handeln zu hinterfragen, sich ggf. zu korrigieren, Fehler einzugestehen, konkret Gesicht zu zeigen, sich zu bekennen. Das tut weh. Aber der Schmerz lohnt sich.

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